Forschungs-Nachricht
Wie das Gehirn Sinneseindrücke mit Kontext verbindet
Was wir sehen, hören, riechen oder ertasten, ist nicht einfach nur eine Reaktion des Gehirns auf eintreffende Sinnesreize. Unsere Wahrnehmung der Welt entsteht vielmehr durch Mechanismen, die diese externen Signale mit inneren Informationsströmen kombinieren – Strömen, die unsere Erfahrungen, Erwartungen und Emotionen widerspiegeln. Unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben nun den Mechanismus identifiziert, der die erste Stufe dieses Prozesses in der Großhirnrinde – dem für kognitive Funktionen entscheidenden Hirnareal – erklärt. Überraschenderweise ist es der Sinneseingang selbst, der seine Kombination mit anderen Signalen anstößt, die während oder sogar schon vor dem Reiz eintreffen. Diese in Nature Communications veröffentlichte Studie eröffnet neue Perspektiven darauf, wie das Gehirn Sinneseindrücke in Wahrnehmung verwandelt.
Forschende aus unserer Gruppe In Silico Brain Sciences und der Vrije Universiteit Amsterdam untersuchten, wie das Rattengehirn Signale von den Schnurrhaaren verarbeitet. Ähnlich wie menschliche Fingerspitzen dienen die Schnurrhaare der Ratte als hochentwickelte Tastsensoren, mit denen sie ihre Umgebung erkundet. Die sensorischen Signale der Schnurrhaare gelangen über den Thalamus – das zentrale Eingangstor für externe Informationen – in die Großhirnrinde. Bei der Untersuchung, wie Thalamus-Neurone synaptische Verbindungen mit kortikalen Nervenzellen eingehen, machte das Team eine entscheidende Entdeckung: Thalamokortikale (TC) Synapsen häufen sich dicht um eine kalziumkanalreiche Domäne der wichtigsten kortikalen Ausgangszellen, der sogenannten Pyramidenbahnneuronen (PTs).
„Es war völlig unerwartet zu sehen, dass Neurone aus dem Thalamus in der Lage sind, eine ganz bestimmte dendritische Domäne eines bestimmten Zelltyps im Kortex gezielt anzusprechen. Dieses extreme Maß an Spezifität deutete darauf hin, dass sensorische Signale der Schnurrhaare zu dendritischen Kalziumsignalen beitragen können – und damit PTs befähigen, Eingaben aus verschiedenen kortikalen Schichten zu kombinieren“, erklärt Dr. Jason M. Guest, einer der Erstautoren der Studie.
Um dies zu überprüfen, ging das Team weit über die Anatomie hinaus. Es entwickelte realistische Computermodelle der Großhirnrinde, um den Fluss sensorischer Signale im lebenden Tier zu simulieren.
„Die Simulationen sagten nicht nur die Aktivität vorher, die wir in vivo aufgezeichnet haben“, ergänzt Dr. Arco Bast, ebenfalls Erstautor der Studie. „Sie legten im Grunde den zugrundeliegenden Mechanismus offen, den wir TC-Kopplung genannt haben. Die Simulationen lieferten sogar eine Strategie, wie wir diesen Mechanismus im lebenden Tier testen konnten – was uns später mit optogenetischen Manipulationen von TC-Synapsen gelang.“
Die Forschenden untersuchten außerdem, wie die TC-Kopplung die Antworten der PTs verändert, die an nachgeschaltete Hirnareale weitergegeben werden. Ohne zusätzliche Eingaben lösten sensorische Signale meist einzelne Aktionspotenziale aus. Derselbe Reiz erzeugte jedoch kurze Salven von drei Aktionspotenzialen, wenn er über die TC-Kopplung mit laufenden Eingaben kombiniert wurde.
„Unsere Studie zeigt, dass selbst die allerersten sensorischen Antworten, die den Kortex verlassen, bereits durch Eingaben geprägt sind, die dem Reiz vorausgehen“, sagt Marcel Oberlaender, Leiter der Forschungsgruppe In Silico Brain Sciences. „Dass Salven aus drei Aktionspotenzialen eine neurophysiologische Signatur dieses Kopplungsprozesses darstellen, eröffnet neue Möglichkeiten, um zu untersuchen, wie das Gehirn Sinneseindrücke in Wahrnehmung verwandelt – und warum der Kontext bestimmt, was wir tatsächlich erleben.“
Publikation:
Bast, Guest, Fruengel, Narayanan, de Kock & Oberlaender (2025). Thalamus enables active dendritic coupling of inputs arriving at different cortical layers. Nature Communications (Zur Publikation).