Unser Forschungsschwerpunkt

Faszinierendes Verhalten
Ziel der Forschung am MPINB ist es zu verstehen, wie das Gehirn Verhalten steuert. Obwohl alle Gehirne aus den gleichen Bausteinen, den Nervenzellen oder Neuronen, bestehen, kommen Tiere in den unterschiedlichsten Lebensräumen hervorragend zurecht. Was steckt hinter dieser Anpassungsfähigkeit?

Am MPINB konzentrieren wir uns auf verschiedene Tierarten und deren spezielle Verhaltensweisen. Unsere Forschenden wollen grundlegende Prinzipien der neuronalen Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung im Gehirn entschlüsseln.

Sehen Sie hier unser kurzes Video zu unserer Forschungsmission

Orientierung und Fortbewegung in der Luft

Selbst winzige Gehirne sind in der Lage, komplizierte Aufgaben bei der Orientierung zu lösen. Unsere Forschungsgruppe Neurobiologie der Flugsteuerung untersucht das Flugverhalten des bekannten Modellorganismus Drosophila melanogaster, auch bekannt als Fruchtfliege. Fruchtfliegen sind sehr wendige und starke Flieger. Bei der Navigation verlässt sich Drosophila vor allem auf ihren visuellen Sinn. Der optische Fluss, d. h. das Bewegungsmuster, das am Auge der Fliege erzeugt wird, während sie sich relativ zu ihrer Umgebung bewegt, spielt eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung ihres Fluges. Um Hindernissen oder plötzlichen Bedrohungen wie einer Fliegenklatsche auszuweichen, kann die Fliege ihre Flugrichtung mit blitzschnellen Körperbewegungen, den so genannten Sakkaden, rasch ändern und dabei Drehgeschwindigkeiten von bis zu 5000 Grad pro Sekunde erreichen. Diese Geschwindigkeit ist an sich schon unglaublich, aber noch bemerkenswerter ist der Prozess, der dieser Bewegung vorausgeht: Die Fliege muss entscheiden, ob sie auf einen Reiz reagieren will oder nicht. Wie kann ein Gehirn von der Größe eines Salzkorns in der enormen Flut von Sinneseindrücken, die es während des Fluges erhält, zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen unterscheiden? Unser Forscherteam möchte verstehen, wie das Fliegengehirn ein so komplexes Verhalten wie die Kurskontrolle während des Fluges steuert. Das ultimative Ziel ist es, Erkenntnisse über die Mechanismen zu gewinnen, die der Entscheidungsfindung bei Tieren zugrunde liegen. Erfahren Sie mehr im Videointerview mit der Gruppenleiterin Bettina Schnell.

Orientierung und Fortbewegung über und unter der Erde

Seit 2019 beherbergt unser Tierhaus die Graumullart Ansells Graumull Fukomys anselli. Diese sozialen Säugetiere leben in völliger Dunkelheit in kilometerlangen unterirdischen Labyrinthen. Dort nutzen sie das Magnetfeld der Erde, um sich zu orientieren. Die Fähigkeit, Magnetfelder für die Nah- und Fernnavigation zu nutzen, ist bereits von Meeresschildkröten, Vögeln, Fischen, Krustentieren und Insekten bekannt. Unsere Forschungsgruppe Neurobiologie des Magnetsinns widmet sich der Identifizierung der an der Magnetrezeption beteiligten sensorischen Strukturen und der neuronalen Bahnen im Gehirn. Ziel der Forschenden ist es, grundlegende Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie Säugetiere schwache elektromagnetische Felder wahrnehmen und zur Orientierung nutzen können. Eine interessante Tatsache ist bereits bekannt: Im Gegensatz zu Vögeln und Meeresschildkröten, die den Neigungswinkel des Erdmagnetfeldes wahrnehmen, verfügen Ansells Graumulle über einen Polaritätskompass. Mehr dazu erfahren Sie im Interview mit dem Gruppenleiter Pascal Malkemper.

Am MPINB untersuchen wir auch, wie Mäuse und Ratten ihre Umgebung wahrnehmen und sich in ihr zurechtfinden. Wie kann eine Maus einer Grille hinterherjagen, während sie gleichzeitig auf Raubtiere in der Luft achtet? Was geht im Gehirn einer Ratte vor, wenn sie die Entscheidung trifft, ob sie über einen Spalt springen kann oder nicht? Unsere Abteilung Organisation des Gehirns und Verhaltens erforscht, wie Säugetiere anhand ihres Sehvermögens Entscheidungen treffen und welche neuronalen Mechanismen diesem Verhalten zu Grunde liegen. Die Forschenden entwickeln Werkzeuge und Verfahren, um tierisches Verhalten in hoher Auflösung zu quantifizieren und die zugrundeliegende neuronale Aktivität zu untersuchen. Ein Beispiel dafür ist ihr neues kopfgetragenes Miniatur-Multiphotonenmikroskop für sich frei bewegende Mäuse. Das Mikroskop wiegt nur zwei Gramm und ermöglicht die Messung der neuronalen Aktivität in allen Schichten der Großhirnrinde, selbst den tiefsten. Sehen Sie sich unser kurzes Video an. Ein weiteres Beispiel ist ein, ebenfalls von dieser Abteilung entwickelte, neuer Ansatz zur akkuraten Quantifizierung von Skelettbewegungen bei sich frei bewegenden Nagetieren. Lesen Sie unsere Pressemitteilung.

Orientierung und Fortbewegung im Wasser

Ähnlich wie bei der Navigation in der Luft bewegen sich Tiere im Wasser in einem dreidimensionalen Raum. Die Herausforderungen, die diese Umgebung mit sich bringt, sind für uns Menschen nur schwer zu begreifen. Fische verfügen in der Regel über Augen, die an den Brechungsindex des Wassers angepasst sind, der sich von dem der Luft unterscheidet. Eine der bemerkenswertesten Tierarten am MPINB ist das Vierauge Anableps anableps. Seine Augen haben sich so entwickelt, dass er gleichzeitig über und unter der Wasseroberfläche scharf sehen kann. Unsere Forschenden der Abteilung Computational Neuroethology untersuchen die Anpassungen des visuellen Systems dieses Fisches, die ihm ermöglichen Insekten auf der Wasseroberfläche zu fangen. Die Abteilung arbeitet auch mit verschiedenen anderen Fischarten wie Danionella cerebrum oder dem Zebrafisch Danio rerio, zudem mit dem Tropischen Krallenfrosch Xenopus tropicalis. Aufgrund seiner Entwicklung von einer Kaulquappe zu einem vierbeinigen Lebewesen ist dieses Tier ein ausgezeichneter Modellorganismus, um die Entwicklung des Bewegungsapparats und seine Rolle bei der Navigation zu verstehen.

Futtersuche, Jagd und Ernährung

Anders als für uns Menschen sind Nahrungssuche und Fressen für die meisten Tiere äußerst komplizierte Aufgaben. Sie müssen ihre Nahrung zunächst finden. Handelt es sich bei der Nahrung selbst um ein Lebewesen, muss es eventuell gejagt und gefangen werden. Die ganze Zeit über muss das Tier auf die Informationen achten, die ihm seine Sinnessysteme zur Verfügung stellen. Ständig muss es prüfen, ob es selbst in Sicherheit ist und in Ruhe fressen kann, oder ob es klüger wäre, zu fliehen oder zu kämpfen, um nicht selbst auf dem Speiseplan eines anderen Raubtiers zu landen.

Mithilfe speziellen kopfgetragenen Kameras und eines Digitalisierungsverfahrens hat unsere Abteilung Organisation des Gehirns und Verhaltens rekonstruiert, was eine Maus während ihrer Jagd auf Beute sieht, sozusagen der Blick durch die Augen einer Maus. Die nächsten Schritte der Forschenden bestehen darin, diese Daten mit Aufzeichnungen von Nervenzellen im Gehirn zu verknüpfen. So wollen wir verstehen, wie das Gehirn komplexe visuell gesteuerte Verhaltensweisen steuert. Sehen Sie hier unser Video "Seeing what they see" über den neuen Forschungsansatz.

Zwei andere Forschungsgruppen am MPINB befassen sich mit dem Fressverhalten kleinerer Tiere, den Fadenwürmern (Nematoden). Warum studieren wir Fadenwürmer? Wir haben mit diesen winzigen Würmern viel mehr gemeinsam, als wir vielleicht annehmen. Das macht sie zu hervorragenden Modellorganismen für die Zellbiologie, Evolutionsforschung, medizinische Studien und die Neurobiologie. Einer der beliebtesten Modellorganismen ist Caenorhabditis elegans, der sich von Bakterien ernährt. Um Nahrung zu finden, müssen diese Würmer ihre Bewegungen und ihre Fressgeschwindigkeit laufend an ihren inneren Zustand wie ihrem Appetit und an äußere Reize wie Gerüche anpassen. Unsere Forschungsgruppe Neural Information Flow untersucht, wie das sehr gut beschriebene Nervensystem dieser winzigen Würmer diese vielfältigen Informationen verarbeitet und komprimiert, was schließlich zu einem veränderten Verhalten der Tiere führt. Die Forschenden haben kürzlich eine Methode entwickelt, mit der sie die Fortbewegung und das Fressverhalten von über 50 Würmern gleichzeitig analysieren können. Sehen Sie hier unser Interview mit der Gruppenleiterin Monika Scholz. Unsere Forschungsgruppe Genetik des Verhaltens untersucht den Fadenwurm Pristionchus pacificus. Im Gegensatz zu C. elegans hat dieser Wurm Anpassungen entwickelt, um sich von anderen Würmern zu ernähren (siehe Kannibalismus und Verwandtenerkennung).

Kannibalismus und Verwandtenerkennung

Neben unserer Forschung an dem bekannten Modellorganismus Caenorhabditis elegans (siehe "Futtersuche, Jagd und Ernährung") arbeiten wir auch mit dem weniger bekannten Verwandten Pristionchus pacificus. Diese beiden Nematodenarten hatten zuletzt vor etwa 120 Millionen Jahren einen gemeinsamen Vorfahren. Dementsprechend gibt es eine Reihe von Verhaltensunterschieden zwischen ihnen. Innerhalb der Art P. pacificus gibt es zwei Typen von Würmern, die sich durch unterschiedliche Mundformen unterscheiden. Der eine ernährt sich ausschließlich von Bakterien, der andere ist ein Allesfresser und ernährt sich mit Hilfe seiner zahnähnlichen Mundstrukturen von anderen Würmern, einschließlich C. elegans. Die eigenen Verwandten landen jedoch nicht auf dem Speiseplan von P. pacificus! Unsere Forschungsgruppe Genetik des Verhaltens untersucht, wie sich dieses räuberische Verhalten bei den winzigen Würmern entwickelt hat und wie sie die Herausforderung meistern zu erkennen, wer zur Familie gehört und wer nicht. Sehen Sie sich unser Interview mit Gruppenleiter James Lightfoot an.

Schlaf

Schlaf ist überlebenswichtig und wichtig für viele Gehirnfunktionen. Das Gehirn entsorgt im Schlaf Stoffwechselprodukte und das Gedächtnis wird gefestigt. Je länger ein Tier wach bleibt, desto größer ist sein Schlafbedarf. Doch wie wird Schlaf gesteuert und welche zellulären Schaltkreise im Gehirn sind daran beteiligt? Woher weiß das Gehirn, wann es Schlaf braucht? Unsere Forschungsgruppe Neuronale Schaltkreise untersucht den Schlaf im Modellorganismus Drosophila melanogaster. Die Forscher haben eine Methode entwickelt, um die neuronale Aktivität im Gehirn der winzigen Fruchtfliege in einem Virtual-Reality-Setup über mehrere Tage hinweg zu untersuchen. Die Fliege kann in dieser Versuchsanordnung laufen, fressen oder schlafen, während gleichzeitig die Aktivität der Nervenzellen in ihrem Gehirn aufgezeichnet wird. Auf diese Weise können auch langsame Veränderungen, wie sie beim Lernen oder während des Schlafs auftreten, analysiert werden.

Lesen Sie hier mehr über unsere Virtuelle Realität für Fliegen.

Verhalten von Einzelzellen

Orientierungsverhalten gibt es nicht nur bei Tieren, auch einzelne Zellen sind in der Lage sich zu orientieren, zu bewegen und zu wandern. Hierbei sind Zellen ständig mit einem sich ändernden chemischen Umfeld konfrontiert und müssen, um ihre Funktionen erfüllen zu können, Berechnungen in Echtzeit durchführen. Wie halten einzelne Zellen beispielsweise ihren Kurs während der Migration (Wanderung), wenn sie mit lokalen und zeitlich begrenzten Veränderungen in ihrer unmittelbaren Umgebung konfrontiert werden? Unsere Forschungsgruppe Zelluläre Komputationen und Lernen hat gezeigt, dass Zellen über eine molekulare Form eines Arbeitsgedächtnisses verfügen. Die Gruppe entwickelt eine allgemeine Theorie darüber, wie zelluläre Berechnungen und Lernen zustande kommen. Lesen Sie hier ihre neuesten Forschungsnachrichten.